08 Tour de Murg

Die ersten Sonnenstrahlen dringen in die Heuhütte. Ich rolle mich mit Schwung auf den Rücken und strecke alle viere von mich. Diese kleine Höhle, komfortabler als ein Zelt und doch nur wenige Meter groß, spricht für sich aus längst vergangener Zeit. Zwischen den dunkelbraunen Holzbohlen an den Wänden schimmert das Licht hindurch und man kann den Wald entdecken. Zwischen Fichten und Buchen, Farn und Brombeerstrauch, Haselnusssträuchern und einer Eiche sind wir gut versteckt. Über mir im Giebel sind die roten Dachziegel sichtbar und halten die Hütte seit Jahrzehnten trocken. Dieses kleine Bauwerk widersetzt sich bisher jedem Unwetter, auch wenn die originale Tür nicht mehr existiert. Mein Herrchen hat bereits Sorge dafür getragen und uns eine neue Pforte gebaut. Der große Vorteil meinerseits, denn so kann ich die pure Freiheit ohne Geschirr genießen. Macht sich besonders bemerkbar, wenn man sich wie jetzt gerade im Heu räkelt. Decke hin oder her, diese Kuhlen die ich mir selbst zurecht schiebe und drücke, schmiegen sich perfekt an. Meine Leute schlafen hier auch sehr gut. Inzwischen kommt aber langsam Bewegung in die zwei und ich ahne schon was gleich passiert. Erst der gemütliche Gang zum Bach und danach die Koffein Dosis einnehmen, in Form von Energy und Kaffee. Jedem das Seine, ich bevorzuge meine Power Paste mit Vitaminen. Ich bin gespannt, was heute an diesem warmen Sommertag noch passiert.

Gerade eben vor mich hingeträumt, da bin ich bereits auf dem Weg zum Klondike. Im Goldrausch verfalle ich nicht, eher in Aufregung was es wieder Tolles zu entdecken gibt und die Aussicht auf eine kühle Erfrischung. Das Murgtal, mindestens genauso schön wie Kanada. Ich wundere mich ein wenig, da das Tagesgepäck auf ein Minimum reduziert wurde. Der Gedanke daran vergeht so schnell, wie ich schon in die Fluten stürze. Eine wahre Lebensfreude sich abzukühlen bei der Sommerhitze. Meine Sinne überschlagen sich.

Das Flussbett so wild und ursprünglich, mit rauen Felsen als auch vom Wasser glatt geschliffenen Steinen. Schlängelt sich kilometerweise durch Tal, umgeben von geheimnisvollen Wäldern. Mitunter wird die Murg hier breit genug um das Wasser als kleinen See erscheinen zu lassen, doch sollte man die Kraft der Brandung nicht unterschätzen. Umso mehr Geschicklichkeit gefragt, wenn man zeitgleich die Umgebung mit Nase und Ohren erfassen will.

Heute wird es ein besonderer Ausflug, Tour de Murg wie die beiden mir sagen. Jedoch nicht der bekannte Radweg, sondern als Flussbettwanderung. Das entspricht meinem Entdeckerdrang aber voll und ganz. Gerne verweilen wir hier an so einigen Plätzen, nun habe ich die Gelegenheit alles auszukundschaften. Das erklärt auch das wenige Gepäck, weil so einige Male überqueren wir den Fluss und springen von Stein zu Stein.

Kaum sind wir ein gutes Stück vorangekommen, da macht es klick und ich bin von der Leine gelöst. Voller Begeisterung genieße ich die Freiheit und suche selbständig einen idealen Pfad. Ein Pfiff, ein Ruf – halt! – so schnell geht’s nicht weiter. Was für die beiden wohl sehr gelegen kommt. Spielerisches Training gewissermaßen, für mich allerdings das größte Abenteuer.

Zwischen Schnüffeln und geschicktes Springen, etwas Neues entdecken und Aufhorchen hindurch dem Wasserrauschen, beobachte ich meine Leute. Das Vertrauen ihrerseits kann ich voll und ganz erwidern. Als ich an einem riesigen Felsen angelangt bin und nicht so recht weiterkomme, hilft mein Herrchen prompt. Manchmal ermutigen sie mich die seichten Stellen selber zu überqueren, wenn die Strömung jedoch stärker ist, passt mein Rudel gut auf mich auf. Ich verstehe, das Teamwork bei diesem Abenteuer wichtig ist, obwohl doch jeder seinen geeigneten Weg läuft.

Nach einigen Stunden mit nur kleinen Pausen scheinen wir fast am Ziel angekommen zu sein. In einer großen Biegung wandelt sich der Fluss zu einem kleinen See mit Sandstrand. Prima, um nochmal zu entspannen und die letzte große Rast zu machen. Die Zeit reicht nicht mehr aus, so teilen wir die gesamte Strecke in zwei Etappen. Nach Einbruch der Dunkelheit würde das sonst zu einem waghalsigen Experiment führen, da muss ich meinen Zweibeinern Recht geben. Dafür freue ich mich schon auf die nächste Etappe an einem anderen Tag. Durchaus sollte man diese Wanderungen wiederholen, denn es hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht.

Während dieser Pause beobachte ich wie mein Herrchen zwischen einigen Felsen im Wasser wuselt. Kurze Zeit darauf kehrt er zurück mit handgefangener Beute. Nanu, ein frischer Fisch! Am Ufer weckt dieses glitschige Tier meine Neugierde und den Jagdinstinkt. Irgendwie möchte ich es schon fangen und beißen, aber andererseits zappelt es wie verrückt. Und der Geschmack ist überaus seltsam. Nichtsdestotrotz habe ich nach einer Weile die Beute erlegt. Der größere Anteil vom Fisch wird abends einem Waldtier munden, denn ich habe lediglich das Gehirn verspeist. Wieder mal eine schlaue Erfahrung reicher.

Hinauf am Ufer geht es nun, durch Wald und Dickicht um nach wenigen Metern den offiziellen Wanderweg zu erreichen. Dieser verläuft teils parallel zur Flussstrecke. Da geht der Heimweg ganz flott vonstatten, gegenüber der vorigen Strecke. Glücklich und ein wenig erschöpft kehren wir zurück in die Hütte ein. Eine ordentliche Portion Futter mit leckerem Mozzarella als Bonus, lässt mich bald müde werden. Alle viere von sich gestreckt, wieder die gemütliche Hütte mit ihrem offenen Dachgiebel im Blick, ja – fast wie heute früh. Allerdings mit einem weiteren Abenteuer, das man im Traum mitnehmen kann und so schlummere ich mit diesem Glücksgefühl ein.